Am 3. Oktober 1990 feierte die Bundesrepublik Deutschland die sogenannte „Wiedervereinigung“. In der öffentlichen Erinnerung gilt dieses Datum bis heute als historischer Wendepunkt, als friedliche Vollendung der deutschen Einheit. Doch bei genauer juristischer und staatsrechtlicher Betrachtung stellt sich die Frage: Handelt es sich hierbei tatsächlich um eine echte Wiedervereinigung zweier gleichberechtigter deutscher Staaten – oder eher um einen politisch inszenierten Anschluss der DDR an die bestehende BRD-Struktur?
Tatsächlich dehnt sich die Bundesrepublik heute über das gesamte Gebiet der ehemaligen DDR aus. Aber: Sie ist im Wesentlichen strukturell und juristisch dieselbe Bundesrepublik geblieben, die 1949 unter alliierter Aufsicht gegründet wurde. Es wurden keine neuen Verfassungsorgane geschaffen, keine neue Verfassung beschlossen, und die staatliche Ordnung blieb unverändert – mitsamt alten Parteien, alten Gesetzen, alten Bündnissen und alten Machtstrukturen.
Der sogenannte „Beitritt“ der DDR erfolgte nicht im Rahmen eines völkerrechtlichen Vereinigungsvertrags zwischen zwei souveränen Staaten, sondern als einseitiger Beitritt nach Artikel 23 GG a.F. – ein Verfahren, das verfassungsrechtlich möglich, aber demokratisch fragwürdig ist. Die Bürger der DDR konnten nicht über eine neue Verfassung abstimmen, die für beide Teile Deutschlands gemeinsam und gleichberechtigt gegolten hätte. Auch ein Volksentscheid gemäß Artikel 146 GG blieb aus.
Zudem bleibt die Rolle des Deutschen Reiches ungeklärt. In seinem Urteil vom 31. Juli 1973 stellte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich fest, dass das Deutsche Reich völkerrechtlich fortbesteht, wenngleich es aktuell „nicht handlungsfähig“ sei. Diese Aussage ist bis heute gültig – sie wirft jedoch grundlegende Fragen auf:
Wer ist das legitime Deutschland im Sinne des Völkerrechts?
Wenn das Deutsche Reich nicht untergegangen ist, kann die BRD es nicht ersetzt haben – und die Wiedervereinigung wäre formal keine Neugründung, sondern eine Verwaltungsfortführung ohne völkerrechtliche Klärung.
Auch das Grundgesetz selbst bleibt in dieser Perspektive ein Provisorium. Es wurde nie durch eine Volksabstimmung legitimiert und ist, gemäß Artikel 146 GG, so lange gültig, bis das deutsche Volk in freier Entscheidung eine neue Verfassung beschließt. Diese Abstimmung fand bis heute nicht statt.
Damit bleibt die sogenannte Wiedervereinigung eine These, die juristisch, historisch und demokratisch nicht vollständig eingelöst wurde. Die politische Realität – ein gesamtdeutscher BRD-Rahmen mit struktureller Fortsetzung alter West-Ordnung – steht im Widerspruch zur Idee einer echten nationalen Selbstbestimmung und Neugründung.
Solange die Fragen nach der völkerrechtlichen Legitimation Deutschlands, nach einer Verfassung des ganzen Volkes und nach der endgültigen Klärung des Status des Deutschen Reiches unbeantwortet bleiben, muss kritisch hinterfragt werden, ob die These vom „wiedervereinigten Deutschland“ nicht tatsächlich ein Mythos ist – genährt von politischer Symbolik, aber nicht getragen von demokratischer Substanz.
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