Seit dem 1. März 2020 gilt in Deutschland das sogenannte Masernschutzgesetz (Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention, BGBl. I 2020 S. 148).
Offiziell dient es der Verbesserung des Bevölkerungsschutzes vor ansteckenden Krankheiten – insbesondere in Kindertagesstätten, Schulen und Gemeinschaftseinrichtungen.
Bei näherer Betrachtung offenbart sich jedoch ein rechtlich und ethisch sensibles Spannungsfeld zwischen staatlicher Schutzpflicht und Elternautonomie.
Das Masernschutzgesetz schreibt vor, dass Kinder, die eine Gemeinschaftseinrichtung besuchen wollen, einen Nachweis über eine Masernschutzimpfung oder eine ärztlich bestätigte Immunität erbringen müssen (§ 20 Abs. 8 Infektionsschutzgesetz – IfSG).
Ohne diesen Nachweis darf die Einrichtung das Kind nicht aufnehmen.
Eltern, die den Nachweis verweigern, riskieren gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 7e IfSG ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro.
Auch für dort beschäftigtes Personal gilt die Impfpflicht – wer keine Immunität nachweist, darf nicht tätig sein.
Diese Regelung schafft keinen unmittelbaren Impfzwang im Sinne einer zwangsweisen Injektion, aber sehr wohl einen mittelbaren Zwang, da die Teilnahme am öffentlichen Leben und am Bildungssystem faktisch an den Impfnachweis gekoppelt ist.
Nach Artikel 6 Abs. 2 GG besitzen Eltern das natürliche Recht und die Pflicht, über die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden.
Gleichzeitig verpflichtet Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Staat, das Leben und die körperliche Unversehrtheit aller Bürger – insbesondere Schutzbedürftiger – zu gewährleisten.
Diese beiden Verfassungspositionen kollidieren im Masernschutzgesetz:
Einerseits die elterliche Entscheidungshoheit über den Körper ihres Kindes, andererseits die staatliche Pflicht, die Allgemeinheit vor Infektionskrankheiten zu schützen.
Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 11. Mai 2020, Az. 1 BvR 469/20 u. 1 BvR 470/20**) bestätigte die Rechtmäßigkeit des Gesetzes im Wege einer einstweiligen Anordnung.
Die Richter erklärten, dass der Eingriff in das Elternrecht gerechtfertigt sei, weil der Schutz Dritter – etwa immungeschwächter Kinder – ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel darstelle.
Das Gesetz sei daher verhältnismäßig, solange keine unzumutbaren gesundheitlichen Risiken nachgewiesen würden.
Die Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigt, dass Masern in Deutschland seit vielen Jahren nicht vollständig eliminiert sind.
Zwar entstehen die meisten Infektionsketten innerhalb Deutschlands, doch ein Teil der jährlichen Fälle ist auf eingeschleppte Infektionen aus dem Ausland zurückzuführen.
Insbesondere in Jahren mit erhöhter Migration – etwa 2015 bis 2017 – verzeichneten Gesundheitsämter vermehrt importierte Masernfälle.
Diese traten häufig in Gemeinschaftsunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen auf, wo eine schnelle Impferfassung oder Nachimpfung organisatorisch schwierig war.
Laut dem RKI-Bericht „Epidemiologische Situation der Masern in Deutschland“ (Stand 2020) wurden in mehreren Fällen Reise- oder Migrationsepidemiologische Zusammenhänge festgestellt, z. B. durch Rückkehrer oder neu eingereiste Personen aus Ländern mit niedriger Impfquote (u. a. Ukraine, Rumänien, Syrien, Afghanistan, Georgien).
Dabei gilt:
Nicht die Herkunft, sondern der Impfstatus ist entscheidend.
Das Virus unterscheidet nicht zwischen Nationalität oder Religion, sondern nutzt Impflücken – egal ob bei einheimischen oder zugewanderten Personen.
Das Problem liegt somit nicht in der Migration selbst, sondern in ungleichen Impfquoten zwischen Herkunftsregionen und Deutschland.
Diese Unterschiede können – in Kombination mit einer wachsenden Impfskepsis in Teilen der Bevölkerung – lokale Ausbrüche begünstigen.
Eine wirksame Gesundheitsstrategie sollte daher auf Prävention, Aufklärung und freiwillige Nachimpfprogramme setzen, statt auf pauschale Zwangsmaßnahmen.
Nur so lässt sich vermeiden, dass der gesellschaftliche Diskurs in eine Polarisierung zwischen Schutz und Freiheit abgleitet.
Trotz juristischer Legitimation bleibt die gesellschaftliche Debatte offen:
Viele Eltern äußern Skepsis gegenüber verpflichtenden Impfprogrammen, insbesondere wegen mangelnder Transparenz über Inhaltsstoffe, Studien und mögliche Nebenwirkungen.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) prüfen Impfstoffe zwar nach hohen Standards, doch der Zugang zu vollständigen Studiendaten und Langzeitbeobachtungen ist für die Öffentlichkeit eingeschränkt.
Diese Informationslücke fördert Misstrauen – und genau hier beginnt das Problem einer Politik, die Vertrauen verlangt, aber nicht alle Hintergründe offenlegt.
Ein demokratischer Staat muss nicht nur schützen, sondern auch erklären, begründen und aufklären.
Nur durch vollständige Offenlegung – von klinischen Prüfungen über Lieferketten bis zu Haftungsregelungen – kann Vertrauen in die öffentliche Gesundheitsvorsorge entstehen.
| Jahr | Gemeldete Fälle | Bemerkung / Quelle |
|---|---|---|
| 1990 | ca. 6 300 | WHO / DDR + BRD gesamt |
| 1991 | 5 300 | Beginn gesamtdeutsche Erfassung |
| 1992 | 2 800 | Rückgang nach Wiedervereinigung |
| 1993 | 1 550 | RKI / WHO Schätzung |
| 1994 | 1 120 | Bayern / Sachsen-Ausbrüche |
| 1995 | 750 | Impfkampagnen-Effekt |
| 1996 | 550 | Einzelfälle |
| 1997 | 990 | WHO-Report |
| 1998 | 875 | RKI Bulletin |
| 1999 | 930 | RKI Surveillance |
| 2000 | 1 580 | Letztes Jahr vor IfSG |
| 2001 | 6 039 | Erstes IfSG-Jahr |
| 2002 | 4 656 | RKI Jahrbuch |
| 2003 | 777 | Starker Rückgang |
| 2004 | 123 | Rekordtief |
| 2005 | 781 | NRW-Ausbrüche |
| 2006 | 2 308 | Berliner Ausbruch |
| 2007 | 570 | Stabilisierung |
| 2008 | 914 | Clusterausbrüche |
| 2009 | 569 | Niedrige Zahlen |
| 2010 | 780 | Moderate Zunahme |
| 2011 | 1 608 | Bayern-Ausbruch |
| 2012 | 165 | Sehr niedrig |
| 2013 | 1 770 | Berlin / Sachsen |
| 2014 | 464 | Rückgang |
| 2015 | 2 442 | Berlin-Ausbruch |
| 2016 | 326 | Nachwirkung 2015 |
| 2017 | 924 | NRW |
| 2018 | 545 | Stabile Lage |
| 2019 | 515 | RKI Jahrbuch |
| 2020 | 76 | Corona-Effekt |
| 2021 | 8 | Rekordtief |
| 2022 | 15 | Fast keine Fälle |
| 2023 | 79 | Wiederanstieg |
| 2024 | 645 | Deutlicher Anstieg |
| 2025* | ~350 | Laufendes Jahr (Schätzung) |
Das Masernschutzgesetz ist kein offener Impfzwang, aber ein indirekter Zwang:
Wer den Impfnachweis verweigert, wird von zentralen gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen.
Diese Konstruktion wirft grundsätzliche Fragen über die Grenzen staatlicher Fürsorge auf.
Eine freie Gesellschaft basiert auf informierter Entscheidung, nicht auf sozialem Druck.
Wenn Gesundheitspolitik Vertrauen statt Zwang anstrebt, muss sie Transparenz, wissenschaftliche Ehrlichkeit und Wahlfreiheit gewährleisten.
Nur so kann der legitime Schutz der Gemeinschaft mit dem unveräußerlichen Recht auf Selbstbestimmung und Elternautonomie in Einklang gebracht werden.
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